Vom guten Umgang mit dir selbst – Warum Sanftheit dich weiterbringt als Disziplin 

„Selbstmitgefühl heißt, sich selbst zum warmen, unterstützenden Freund zu werden.“ 

(Kristin Neff & Christopher Germer)

Wir können uns einsam fühlen, auch wenn wir viele Menschen um uns haben. Einsamkeit hängt nicht von der Menge unserer Kontakte ab, sondern davon, wie sehr wir mit uns selbst verbunden sind. Einsamkeit entsteht durch eine mangelnde Verbindung zu uns selbst. Wenn wir also Einsamkeit überwinden wollen, brauchen wir wieder eine gute Beziehung zu uns selbst. Dann fällt es uns auch wieder leicht, uns mit anderen zu verbinden und Nähe zuzulassen.

Besonders schmerzhaft wird es, wenn wir in Beziehungen bleiben, die uns nicht gut tun. Dann kann die Einsamkeit sogar zunehmen, weil wir das Gefühl haben, uns verstellen oder verändern zu müssen, um dazuzugehören.

Von guten Vorsätzen und anderen Grobheiten

Vielleicht hast du auch schon festgestellt, dass du Dinge in deinem Leben ändern möchtest, dir das aber einfach nicht gelingt. 

Vielleicht hast du dir vorgenommen, dich nicht mehr ausnutzen oder schlecht behandeln zu lassen. Trotzdem findest du dich vielleicht immer wieder in ähnlichen Situationen wieder, die dir das Gefühl geben, nicht genug zu sein und so wie du bist, nicht in Ordnung zu sein. 

Und so nimmst du dir vor, beim nächsten Mal alles richtig zu machen. Vielleicht weißt du genau, wie du reagieren willst – etwa, Grenzen zu setzen, wenn dich jemand schlecht behandelt, oder es diesmal früher zu merken, wenn jemand deine Grenzen überschreitet. 

Doch ob du eine klare Vorstellung hast oder nicht, es gelingt dir einfach nicht. Irgendwann zweifelst du nicht nur an dir und deinen Fähigkeiten, sondern auch daran, ob du es wirklich ernst mit der Veränderung meinst und suchst nach einer Methode, die alle Probleme löst.

Warum Disziplin nicht zur gewünschten Veränderung führt

Wenn wir uns immer wieder vornehmen, bestimmte Dinge zu ändern und es einfach nicht hinbekommen, versuchen wir es meist mit Disziplin. Wir entscheiden mit dem Kopf, was sich verändern soll und versuchen es dann mit Willenskraft durchzusetzen. 

Mit Druck und Selbstkontrolle lassen sich unbewusste Muster aber, wenn überhaupt, nur kurzfristig überdecken. Wir fallen wieder in alte Verhaltensmuster zurück, weil wir übersehen, was uns wirklich antreibt.

Die Falle der Selbstoptimierung 

Wir haben gelernt, Gefühle wie Wut, Angst, Scham oder Trauer zu unterdrücken. Der Verstand hat einen wesentlich höheren Stellenwert als unsere Gefühle und auch als das Bauchgefühl, unsere Intuition. 

Fehlen uns diese inneren Informationen, erleben wir uns fehlerhaft und widersprüchlich. Wir handeln anders, als wir wollen. 

Aber anstatt mitfühlend mit uns umzugehen, machen wir uns Vorwürfe und setzen uns noch strengere Ziele. Doch je härter wir mit uns umgehen, desto mehr klammern wir uns an alte Muster. Denn die verdrängte innere Absicht muss immer lauter werden, um gehört zu werden.

Was macht nachhaltige Veränderung möglich?

Doch wie kommen wir aus dieser Spirale wieder heraus? Das Wichtigste ist, dass wir uns nicht dafür verurteilen, wenn wir uns anders verhalten, als wir wollen. Denn wir handeln immer sinnvoll, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. 

Es geht darum, zu erkennen, wenn wir falsch abgebogen sind und bewusst den Kurs zu korrigieren. So wie ein Navigationsgerät, das einfach den Weg neu berechnet, ohne uns für den Umweg Vorwürfe zu machen.

Das ist allerdings nur möglich, wenn wir uns sicher fühlen. Denn sonst springen alle unsere unbewussten Programme an, die Verletzungen, Ablehnung, Wut und andere unangenehme Gefühle vermeiden wollen.

Die positive Absicht entdecken

Wenn wir uns fragen, welche positive Absicht hinter unserem bisherigen Verhalten steckt, können wir viel über uns lernen. 

Oft versuchen wir Ablehnung und Verletzungen zu vermeiden, wollen eine Wiedergutmachung für eine Ungerechtigkeit oder einfach nur die Anerkennung unserer Gefühle und Bedürfnisse.  

Wenn wir das im Blick haben, können wir neue Wege ausprobieren. So können wir bei einem Konflikt beispielsweise ein ruhiges Gespräch suchen und unsere Bedürfnisse klar äußern und eine Möglichkeit finden, wie beide sich gehört und gesehen fühlen. 

Wenn wir trotz aller Bemühungen feststellen, dass die andere Person nicht auf uns eingehen möchte, wissen wir wenigstens woran wir sind und können unser Verhalten entsprechend anpassen. Dann können wir Grenzen setzen und vor allem lernen einen gesunden Umgang mit unseren Gefühlen zu finden. 

Die Macht der Gefühle

Veränderung gelingt nur, wenn wir Gefühle zulassen, anstatt sie zu verdrängen. Angst, Wut, Trauer oder Scham zeigen uns, was wichtig ist.

Wenn wir ihnen Raum geben, verlieren sie ihre Macht. Dann sind sie nicht einmal mehr unangenehm. Wie beim Klavier, das ohne tiefe Töne an Fülle verliert, macht erst die ganze Bandbreite der Gefühle unser Leben vollständig. Wenn wir sie vollständig annehmen, quälen sie uns nicht mehr – und wir werden lebendiger, freier und menschlicher.

Widerstand

Manche Gefühle empfinden wir als so unangenehm, dass wir sie gar nicht zulassen können. Und weil wir so gut gelernt haben sie zu verdrängen, tun wir das automatisch. 

Wenn du merkst, dass du bestimmte Gefühle meidest oder es dir schwerfällt, dich überhaupt auf sie einzulassen, kannst du stattdessen mit dem Widerstand gegen sie arbeiten. 

Welches Gefühl meidest du? Und wie fühlt sich der Widerstand dagegen an? 

Was, wenn die gewünschte Veränderung nicht eintritt? – Vom Wollen und Müssen zum Erlauben

Die Macht des Unbewussten.

Wenn wir keine Klarheit erleben, da wir eine Sache wollen und eine andere Sache tun, gibt es immer noch etwas, was uns nicht bewusst ist oder etwas in uns, das sich nicht angenommen und gewürdigt fühlt. 

Manchmal zeigt sich der unbewusste Teil nicht, weil er sich (noch nicht) sicher fühlt. 

Gerade wenn wir sehr intensiv daran arbeiten uns zu verändern, sind wir oft zu sehr auf das Ergebnis fixiert. Dadurch übersehen wir, was wir tatsächlich erleben und orientieren uns an dem, was wir glauben erleben zu sollen.

Erleben statt nur verstehen

Verstehen im Kopf reicht nicht. Es hilft wenig, sich einzureden, dass „es nicht so schlimm ist“ oder „eine vernünftige Person anders reagieren würde“. Entscheidend ist, was wir wirklich erleben und dass dieses Erleben Raum haben darf.

Warum Erwartungen hinderlich sein können

Häufig blockieren uns Erwartungen. Wir haben eine bestimmte Vorstellung davon, wozu wir in der Lage sein sollten oder bekommen von unserem Umfeld gespiegelt, was sinnvoll und was nicht sinnvoll ist. Dahinter steht oft die grundlegende Annahme, dass mit uns etwas nicht stimmt oder dass es nur einen richtigen Weg gibt.

Doch jeder Mensch tickt anders. Was für den einen funktioniert, kann für den anderen hinderlich sein. 

Deshalb ist es wichtig, immer wieder in sich hineinzuspüren und zu lernen, sich selbst zu vertrauen. Wege, die für andere unsinnig wirken, können genau die richtigen für uns sein. Das habe ich bei mir selbst und bei Klienten immer wieder erlebt.

Ich weiß auch aus eigener Erfahrung wie schmerzhaft es ist, wenn wir weiter sein wollen, als wir sind und uns aus diesem Gefühl heraus selbst übergehen. 

Unsere ungeliebten Seiten annehmen ist wie Geschenke auspacken

Gerade das, was wir am meisten an uns ablehnen, eröffnet uns neue Wege. 

Wenn wir etwa erleben, dass Wut uns daran hindert, jemandem ruhig und klar zu sagen, was wir brauchen, liegt der Schlüssel im Zulassen dieser Wut. Indem wir der Wut Raum geben und ihr zuhören, kann sie uns helfen, unser Anliegen klar auszudrücken und für uns zu sorgen.  

Wenn das Problem die Lösung ist – vom Sinn der Unvernunft

Ich beobachte bei mir selbst und bei Klienten immer wieder, dass wir Wege wählen, die jeder „vernünftige“ Mensch als unklug ansehen würde. Wir bleiben scheinbar zu lange in ungesunden Beziehungen oder geben Menschen Chancen, die offensichtlich nicht zur Selbstreflexion fähig oder willens sind. Und doch kann genau das der richtige Weg sein, weil unsere Intuition weiß, was wir brauchen.

Jeder Mensch tickt anders. Methoden können helfen, müssen aber nicht. Entscheidend ist, den eigenen Weg zu finden und sich selbst zu vertrauen. Wenn du schon vieles ausprobiert hast und zu zweifeln beginnst, ist es vielleicht Zeit, deinen eigenen Weg jenseits von Methoden zu gehen. Schließlich weiß jeder selbst am besten, was er braucht.

Was Sanftheit bedeutet 

Sanftheit heißt nicht, alles hinzunehmen. Es bedeutet, mit dir selbst liebevoll umzugehen, in dem Wissen, dass du in Ordnung bist, auch wenn sich nichts verändert. Erst, wenn sich alle Seiten in uns angenommen und gesehen fühlen – auch die ungeliebten – wird Veränderung möglich.

Bewusstheit schützt uns davor, uns auf ungesunde Weise zu verlieren. Wer seiner Intuition vertraut, kann auch ungewöhnliche Wege gehen. Und wenn die innere Stimme noch leise ist, kann es sehr hilfreich sein jemanden zu haben, der uns spiegelt und so Klarheit schafft.

Unabdingbar ist ein Raum, in dem wir uns sicher fühlen können und uns mit allem zeigen können wie wir sind, ohne verurteilt zu werden. Vor allem dann, wenn wir Rückschläge erleben. Diese gehören mit zum Weg. Wenn wir diesen sicheren Raum noch nicht für uns selbst schaffen können, ist es gut einen Menschen in unserem Umfeld zu haben, der uns einen solchen Raum bietet.

Wie packe ich die Geschenke aus?

Wenn du verstehen möchtest, warum du in bestimmten Situationen nicht so handelst, wie du willst, kannst du dir Fragen stellen. Nicht, um kluge Antworten zu finden, sondern um Raum für alles zu schaffen, was auftaucht. Auch für Antworten, die du vielleicht gar nicht hören möchtest.

Warte geduldig, bis sich etwas zeigt. Wenn nichts kommt, ist das ebenfalls eine Antwort. Manche inneren Anteile brauchen Zeit, um sich sicher zu fühlen. Wichtiger als eine konkrete Antwort zu bekommen, ist alles urteilsfrei zuzulassen. Wenn wir die Antwort nicht verstehen, können wir weiter fragen, was sie bedeuten soll.

Manchen hilft es, den inneren Anteilen wie einem Kind zu begegnen: vielleicht ist es traurig, wütend, trotzig, frech oder widerspenstig. Es kann sich noch nicht so gut ausdrücken wie ein Erwachsener, darum dauert es manchmal eine Weile, bis wir herausfinden, was es eigentlich will. 

Es geht nicht darum, alles umzusetzen, was uns begegnet. Wenn wir z.B. den Impuls nach Rache haben, geht es darum das zu würdigen und anzuerkennen.

Manchmal gibt es dann noch etwas im Außen zu tun, manchmal nicht. Vielleicht reicht es schon, den Wunsch nach Rache ganz anzunehmen. Manchmal ist dann noch ein klärendes Gespräch oder das Setzen von Grenzen nötig.

Durch unsere neue Offenheit und Unvoreingenommenheit entwickeln wir ein Gespür dafür, wann es etwas zu tun gibt. Und solange wir es nicht wissen, gibt es nichts zu tun. Oder wir können einfach spielerisch neues ausprobieren.

Übung: Geschenke auspacken

Wenn du magst, nimm dir ein paar Minuten Zeit, vielleicht mit einem Zettel und Stift. Du kannst die Liste der folgenden Fragen der Reihe nach durchgehen oder nur die wählen, die dich ansprechen. Stelle dir in Ruhe folgende Fragen und beobachte, was passiert. Alles ist willkommen. 

Körperempfindungen

  • Wo im Körper spüre ich meine Unzufriedenheit?
  • Wie fühlt es sich an? Schwer, leicht, eng, weit, starr, beweglich, oder…?

Gefühle

  • Welche Gefühle zeigen sich noch? Angst, Wut, Scham, Traurigkeit oder etwas ganz anderes?
  • Kann ich sie zulassen oder ist Widerwillen da? (Beides ist in Ordnung)

Absicht hinter dem Verhalten

  • Was will dieses Verhalten Gutes für mich?
  • Wovor schützt es mich und was gewinne ich dadurch?

Erkenntnisse

  • Was habe ich gerade über mich gelernt?
  • Wie fühle ich mich mit dieser Erkenntnis?

Es gibt keine „richtigen“ Antworten. Auch geht es nicht darum, sofort alles zu verstehen, sondern offen zu sein für das, was sich zeigt. Manchmal zeigt sich sofort ein Impuls, manchmal später. Beides ist in Ordnung.

Veränderung in kleinen Schritten 

Auch wenn wir die positive Absicht erkannt haben, heißt das nicht, dass sich sofort alles ändert. Wichtig ist, nicht zu urteilen, sondern neugierig zu bleiben. Stück für Stück neue Wege auszuprobieren ist nachhaltiger als Selbstvorwürfe. 

Ich wünsche dir…

Ich wünsche dir einen Raum, in dem du dich sicher fühlst und alles zeigen darfst. Wenn dir dieser Raum fehlt, kann es sehr hilfreich sein, ihn mit jemandem zusammen aufzubauen, der dich sanft begleitet. Wenn du Unterstützung brauchst, darfst du dich gerne bei mir für ein kostenloses Gespräch melden. Ich helfe Menschen dabei nachhaltige Veränderung für sich zu erreichen und ihre Einsamkeit zu überwinden.