Um langfristige, erfüllte Beziehungen aufzubauen, brauchen wir soziale Kompetenz. Haben wir diese Fähigkeit nur teilweise entwickelt, fällt es uns schwer, uns angemessen zu verhalten, Konflikte zu lösen oder Grenzen zu setzen. Das erschwert den Umgang mit anderen und kann zu einem Mangel an stabilen Beziehungen führen, was oft Einsamkeit zur Folge hat.
Bei mir sah es früher so aus, dass ich aufgrund meines kaum vorhandenen Selbstwertgefühls Schwierigkeiten hatte, auf Menschen zuzugehen. Insbesondere in Gruppen fühlte ich mich immer wieder nicht wahrgenommen und ausgeschlossen. Ich wusste nicht, was ich mit Leuten reden soll und wie ich auf mich aufmerksam machen kann, wenn andere meine Grenzen verletzen. Ich merkte oft ja nicht einmal, wenn sie sie verletzten. Oft sagte ich nichts und so ließ ich andere gewähren, bis ich irgendwann platzte und mein Gegenüber aus allen Wolken fiel, weil ich auf eine Kleinigkeit scheinbar völlig überreagierte. Ich hatte das Gefühl, dass ich nur sehr mühsam das lernte, was andere schon mit in die Wiege gelegt bekommen hatten: Ich hatte das Gefühl, dass ich in diesem Bereich so viele Defizite habe, dass es unmöglich ist, sie zu beseitigen. Und so hatte ich auch das grundlegende Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt.
Was ist soziale Kompetenz?
Soziale Kompetenz ist die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen erfolgreich zu gestalten und sich in sozialen Situationen angemessen zu verhalten. So können wir stabile Beziehungen aufbauen und uns in Gruppen erfolgreich integrieren.
Wichtige Aspekte sozialer Kompetenz sind:
- Empathie: die Fähigkeit, sich in eine Person hineinzuversetzen, um ihre Gefühle und Sichtweise zu verstehen
- Kommunikationsfähigkeit: sich klar und verständlich ausdrücken können, sowohl verbal als auch nonverbal
- Konfliktlösung: Meinungsverschiedenheiten auf friedliche und produktive Weise beilegen können
- Teamfähigkeit: erfolgreich mit anderen zusammenarbeiten können
- Selbstregulation: mit eigenen Impulsen und Emotionen in sozialen Situationen angemessen umgehen können
- Beziehungsmanagement: stabile und förderliche Beziehungen aufbauen und aufrechterhalten können
Wie lernen wir soziale Kompetenz?
Aus der Psychologie wissen wir, dass Menschen und insbesondere Kinder durch nachahmen lernen. So übernehmen wir die Verhaltensweisen im Umgang mit unseren Mitmenschen meist von unserer Herkunftsfamilie. Wenn wir mit unseren Eltern gute Vorbilder haben, lernen wir soziale Kompetenz ganz automatisch und es fällt uns leicht mit anderen Menschen umzugehen.
Was führt zu mangelnder sozialer Kompetenz?
Nicht alle von uns, sind aber in Familien aufgewachsen, in denen ein guter Umgang miteinander und ein Gefühl von Verbundenheit herrschten. Wenn unsere Eltern selbst viele Probleme haben, gesunde soziale Beziehungen zu pflegen oder sie unter sozialen Ängsten, Schwierigkeiten und Einsamkeit leiden, übernehmen wir oft unbewusst die einschränkenden Verhaltensmuster unserer Eltern, weil wir sie täglich vorgelebt bekommen und keine Alternativen dazu kennenlernen.
Verschiedene Faktoren können die Entwicklung sozialer Kompetenz behindern. Mangelnde Zuneigung und Unterstützung können das Selbstwertgefühl untergraben und die Fähigkeit, Empathie zu entwickeln oder soziale Signale zu deuten, beeinträchtigen. Sehr strenge oder widersprüchliche Erziehung führt oft zu Unsicherheit, während negative Kommunikationsmuster, wie ständige Kritik, die Fähigkeit zur effektiven Kommunikation behindern, was oft zu sozialen Missverständnissen führen kann.
Wachsen wir in einem aggressiven und gewalttätigen Umfeld auf, lernen wir, soziale Konflikte ebenfalls durch aggressive Verhaltensweisen zu lösen oder unsere Emotionen zu unterdrücken. Fehlen klare Regeln, fehlt uns oft die Orientierung für angemessenes Verhalten. Auch übermäßige Fürsorge kann hinderlich sein, indem sie verhindert, dass wir eigene Erfahrungen sammeln und es uns erschwert, uns in Gruppen einzufügen oder Konflikte selbst zu bewältigen.
Selbst in liebevollen Familien fehlt oft ein sinnvoller Umgang mit Emotionen wie Wut, Angst und Trauer, die in unserer Kultur unerwünscht sind. Frauen dürfen Wut kaum ausdrücken, während Männer lernen, Wut und Angst zu unterdrücken, um nicht „schwach“ zu wirken. Der gesellschaftliche Druck, optimistisch und fröhlich zu erscheinen, führt dazu, dass unerwünschte Gefühle oft verleugnet werden. Das erschwert den gesunden Umgang mit diesen Emotionen und vermindert die Unterstützung im sozialen Umfeld.
Was, wenn ich soziale Kompetenz nicht ausreichend erlernt habe?
Was also, wenn wir in unserer Herkunftsfamilie soziale Kompetenz so wenig gelernt haben, dass wir merken, dass wir hier ein Defizit haben? Was, wenn wir keine guten Vorbilder hatten, durch die wir diese Fähigkeiten ganz nebenbei vermittelt bekamen?
Die gute Nachricht lautet: Soziale Kompetenz muss nicht erlernt werden. Richard C. Schwartz, der Erfinder – oder besser Entdecker – der Therapiemethode „Innere Familiensysteme“ (IFS) fand bei seiner Arbeit heraus, dass jeder Mensch diese Fähigkeiten von Geburt an in sich trägt.
Schwartz war ursprünglich Familientherapeut. Er arbeitete aber auch mit einzelnen Personen und stellte dabei immer wieder fest, dass seine Patienten von unterschiedlichen Bestrebungen in sich sprachen. Sie sagten dann so etwas wie „einerseits will ich…aber andererseits aber auch…“. Oder „ein Teil von mir will…, aber ein anderer Teil von mir will genau das Gegenteil…“. Da jeder Mensch unterschiedliche Bestrebungen in sich hat, die auch widersprüchlich sein können, kann man sie sich wie Anteile der Person oder auch wie Unterpersönlichkeiten vorstellen. Eben wie eine Familie in uns.
Wie zeigen sich diese Anteile im Alltag?
Stell dir vor du wirst zu einem Treffen eingeladen. Einerseits würdest du gerne hingehen, denn es wäre sicher schön mit anderen zusammen zu sein, neue Leute kennenzulernen und vielleicht gibt es auch eine Unternehmung, die dir Spaß machen würde. Du sagst zu und dann merkst du, dass sich da irgendwie Unlust breitmacht. Eigentlich kennst du die meisten Leute dort nicht und wer weiß, ob sie nett sind. Ein Teil möchte hin, weil er sich einsam fühlt, ein anderer Teil oder sogar mehrere Teile finden Einwände warum es keine gute Idee ist.
Oder jemand hat dich versetzt und du bist wütend. Die Person entschuldigt sich bei dir und erklärt dir, dass sie auf dem Weg eine Autopanne hatte, weshalb sie nicht kommen konnte und daher möchtest du ihr gerne verzeihen. Aber irgendwie bist du doch noch sauer, obwohl du denkst, dass es eigentlich keinen Grund mehr dafür gibt. Denn die andere Person hatte sich ja entschuldigt und hatte sogar einen guten Grund dafür, nicht zu kommen.
Ein Teil möchte der Person verzeihen, ein anderer ist aber trotzdem wütend und würde der Person gerne deutlich sagen wie gemein das war. Denn schließlich hätte sie wenigstens kurz Bescheid geben können, dass sie nicht mehr kommt. Und dann spürst, du, dass sich da noch ein Teil in dir regt, der dir sagt, dass das albern ist und dass du dich nicht so anstellen sollst. Es mag nicht nett von der Person gewesen sein, aber sich jetzt die ganze Zeit darüber aufzuregen ist Zeitverschwendung und kindisch.
Wir funktionieren im Inneren wie eine Familie
Es geht also in unserem Inneren zu wie in einer Familie. Unterschiedliche Persönlichkeiten haben unterschiedliche Vorlieben und Ziele. Oder sie haben das gleiche Ziel und wollen es auf unterschiedlichen Wegen verwirklichen. So kann man sich leicht in die Haare geraten. Wenn eine Familie mit so unterschiedlichen Charakteren so agiert, dass jeder nur an sich denkt und versucht seine Interessen um jeden Preis durchzusetzen, ist das Zusammenleben von Feindseligkeit geprägt und die Familienmitglieder werden sich eher gegenseitig behindern als fördern.
Wenn es aber ein Familienoberhaupt (z.B. der Vater) gibt, das fair ist und die Interessen aller im Blick hat, können alle harmonisch miteinander leben. Gibt es Streit innerhalb der Familie oder mit dem Nachbarn, würde der Vater nach Wünschen und Motiven hinter dem speziellen Verhalten aller beteiligten fragen und so das Gespräch moderieren, dass alle sich gehört und verstanden fühlen und alle gemeinsam nach einem Weg suchen können, mit dem sich jeder wohl fühlt.
Genauso funktioniert es auch in uns selbst. Wenn wir unterschiedliche Anteile in uns haben, die Unterschiedliches wollen, dann können wir allen Anteilen zuhören, sie manchmal auch miteinander diskutieren lassen und einschreiten, falls ein Teil doch die Regeln guter Kommunikation verletzt oder auf seinen Vorteil aus ist.
Doch wie soll das funktionieren, wenn wir innerlich unklar und zerstritten sind?
Schwartz begann mit seinen Einzelpatienten auf die gleiche Art zu arbeiten wie mit einer Familie. Wenn ein Patient Anteile hatte, die Unterschiedliches wollten oder sogar zerstritten waren, bat er den Patienten jedem Anteil verständnisvoll zuzuhören und herauszufinden was die Motivation hinter dem Verhalten war. Jeder Teil wurde gewürdigt und liebevoll angenommen, so wie er war. Mit all seinen Ängsten, Vorbehalten, Einwänden und Emotionen. Er behandelte diese Teile im Menschen wie eigenständige Persönlichkeiten. Wenn ein Patient zunächst nicht selbst geduldig und vorurteilsfrei mit diesen Teilen reden und ihnen zuhören konnte, bat er um Erlaubnis vorübergehend selbst mit den Teilen zu sprechen und half ihnen, eine konstruktive Lösung für den Konflikt zu finden.
Er stellte bei seiner Arbeit mit Patienten fest, dass je mehr diese unterschiedlichen Anteile voneinander unterschieden wurden, also als eigenständiger Teil gesehen und gehört wurden, in seinen Patienten bestimmte Qualitäten zum Vorschein kamen: Der Patient war plötzlich sich selbst und anderen gegenüber ruhig, zugewandt, mitfühlend und aufgeschlossen.
Diese Qualitäten tauchten auf, wenn alle anderen Gefühle, die dem nicht entsprachen, vorurteilsfrei zugelassen, gehört und verstanden wurden. Wenn er dann fragte, wer denn da spricht, antworteten die Patienten „ich“. Daher nannte er diesen ruhigen Kern, der in jeder Person zu finden ist, das Selbst. Sogar die Patienten, die in der Kindheit extrem vernachlässigt und traumatisiert wurden und die keine Vorbilder in ihrem Umfeld hatten, von denen sie diese Qualitäten hätten lernen können, hatten die Qualitäten des Selbst.
Damit verbunden war dann auch, dass – sobald diese Qualitäten zum Vorschein kamen – die Person in der Lage war mit äußeren Problemen und inneren Konflikten souverän umzugehen. Alle Fähigkeiten, die bei sozialer Kompetenz vorhanden sind, waren plötzlich da, so dass die Person sinnvolle Entscheidungen für sich treffen konnte und wusste wie sie Konflikte im Inneren oder mit anderen Personen beilegen konnte.
Wovon hängt es also ab, ob wir diese Qualitäten zur Verfügung haben?
Schwartz fand heraus, dass diese Qualitäten oder das „Selbst“ dann zum Vorschein kommen, wenn wir lernen, alles in unserem Innenleben wahrzunehmen und zu würdigen. Insbesondere, wenn wir die einzelnen Bestrebungen benennen und damit voneinander unterscheiden können. Das geschieht, wenn wir jedem Teil zuhören und nach seiner Motivation fragen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es keine schlechten Teile in uns gibt.
Manche mögen zunächst so aussehen, da sie destruktive Verhaltensweisen an den Tag legen. Wenn wir einen Teil in uns haben, der für Suchtverhalten verantwortlich ist oder laut wird und anderen Vorwürfe macht, wenn er sich unverstanden fühlt, ist zwar das Verhalten nicht gut für uns und unser Umfeld. Aber die Motivation dahinter ist immer positiv. Mit dem Suchtverhalten oder den lauten Vorwürfen möchte ein Teil uns von einem unangenehmen Gefühl befreien.
Damit geht es uns kurzfristig besser, auch wenn es langfristig schädlich für uns ist. Wenn wir aber beginnen mit diesen Teilen zu reden, nach Ihren Absichten zu fragen und die Motivation dahinter zu würdigen, beruhigen sie sich und wir können mit ihnen verhandeln. Je polarisierter, also gegensätzlicher und unversöhnlicher die Teile sind, wenn sie im Streit sind, desto mehr Mühe müssen wir dafür aufwenden.
Woher wissen wir, ob gerade unser Selbst oder ein Teil von uns redet?
Manchmal sind wir uns nicht sicher, ob gerade unser Selbst, also der ruhige, verständnisvolle, erwachsene Teil in uns redet, oder ob ein Teil von uns redet, der eine bestimmte Perspektive hat. Durch die Frage „Wie fühle ich mich diesem Teil gegenüber?“ können wir das leicht herausfinden. Immer wenn wir etwas in uns verurteilen, nicht mögen oder kontrollieren wollen, spricht da gerade ein Teil ins uns. Immer, wenn wir ruhig, zugewandt, verständnisvoll und unvoreingenommen sind, spricht da gerade das Selbst in uns.
Wie können wir die einzelnen Teile besser wahrnehmen?
Manchmal, insbesondere wenn wir aufgebracht sind, ist es gar nicht so leicht die unterschiedlichen Anteile in uns zu unterscheiden, da sie alle durcheinanderplappern. Dann kann es hilfreich sein, sie räumlich voneinander zu trennen. Du könntest jedem Teil einen Stuhl zuweisen und dich auf den ersten Stuhl setzen und den Teil, der beispielsweise wütend ist, sprechen lassen. Dann kannst du dich auf den zweiten Stuhl setzen und nächsten Teil, der dich z.B. dafür verurteilt, dass du wütend bist, sprechen lassen. Und dann den nächsten Teil.
Auch für das Selbst kannst du einen Stuhl wählen. Wenn du das Selbst sprechen lassen willst, bitte alle anderen Teile für einen Moment beiseite zu treten, damit du z.B. aus dem Selbst heraus mit anderen Teilen sprechen kannst. Bitte sie, dich für diesen Moment nicht zu unterbrechen und versprich ihnen, dass du dich anschließend wieder um sie kümmern wirst. Du kannst dir diese innere Arbeit so vorstellen als würdest du mit Kindern sprechen. Ein Kind mag verängstigt sein, das andere wütend, wieder ein anderes tief traurig. Es ist heilsam für sie, wenn sie gesehen, verstanden und wertgeschätzt werden und manchmal brauchen sie eine Weile, bis sie wieder vertrauen schöpfen, dass du es gut mit ihnen meinst.
Diese konkrete Teilearbeit ist aber nur eine Möglichkeit, um innerlich klarer zu werden und die Qualitäten des Selbst zu erleben. Alles, was dir dabei hilft, deine Körperempfindungen, deine Gefühle und deine Bedürfnisse besser zu spüren, ist hilfreich. Eine sehr einfache Methode habe ich in diesem Blogartikel beschrieben. Wenn du mit mir noch tiefer gehen möchtest, kannst du mir gern über das Kontaktformular schreiben, dann suchen wir für dich gemeinsam das Passende aus.